Kinder und Jugendliche in Familien mit Partnerschaftsgewalt

Ausgangssituation

Häusliche Gewalt (Domestic Violence) wird als Gewaltstraftat zwischen erwachsenen Personen in einer partnerschaftlichen Beziehung definiert, von der vor allem Frauen durch männliche Partner betroffen sind.

Für die von Partnerschaftsgewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder bedeutet dies, dass sie nicht nur massive Einschränkungen in ihrem Leben, sondern mitunter auch schwerwiegende, vielfältige psychische und physische Schädigungen erfahren müssen.

Zudem können mit der Zeugenschaft von Partnerschaftsgewalt auch weitere Gefährdungen für die in diesen Familien aufwachsenden Kinder und Jugendlichen verbunden sein.

So gab bereits in der repräsentativen Prävalenzstudie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland” über die Hälfte der von Partnerschaftsgewalt betroffenen Frauen an, dass Kinder in ihrem Haushalt lebten und dass ihre Kinder die Gewaltsituation gehört (57%) oder gesehen (50%) hätten (BMFSFJ 2004, S.277).

Kinder seien in die Auseinandersetzungen mitunter selbst hineingeraten, oder hätten versucht, die Befragten zu verteidigen (21-25%). Jedes zehnte Kind wurde dabei selbst angegriffen (ebd.).

Verpflichtungen der Bundesregierung zur Gleichstellung im Bildungswesen

Die Bundesregierung hat sich durch die Ratifizierung und das Inkrafttreten der Istanbul Konvention im Februar 2018 dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um der Menschenrechtsverletzung, als die die Gewalt gegen Frauen anerkannt wird, wirkungsvoll zu begegnen. So sind zukünftig auch die Institutionen im Bildungsbereich gefordert, sich laut Art.14 der Istanbul Konvention mit der Thematik auseinanderzusetzen und im Rahmen des jeweiligen Bildungsangebotes dafür Sorge zu tragen, dass Schüler*innen, Auszubildende sowie Studierende in die Lage versetzt werden, sich mit der Gleichstellung von Männern und Frauen auseinanderzusetzen.

Das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“, die sogenannte Istanbul-Konvention (2011), wurde 2018 von der Bundesregierung ratifiziert und gilt seitdem als Vorlage für entsprechende Gesetzesanpassungen bzw. gesetzliche Verbesserungen zum Schutz von Frauen und ihren Kindern vor Gewalt.

Sie adressiert nicht nur Frauen, die von Gewalt betroffen sind, sondern stärkt auch den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor allen Formen von Gewalt, indem sie anerkennt, dass sie immer Opfer häuslicher Gewalt sind, auch als Zeuginnen und Zeugen von Partnerschaftsgewalt in der Familie.

Der Artikel 26 (Schutz und Unterstützung für Zeuginnen und Zeugen, die Kinder sind) erfordert daher die Bereitstellung von Schutz- und Hilfsdiensten für Opfer unter der Beachtung der Rechte und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen. Auch der Artikel 13 (Bewusstseinsbildung) weist darauf hin, dass Programme und Kampagnen zur Bewusstseinsbildung gegen Formen von Gewalt sowie ihre Auswirkungen auf Kinder notwendig sind, um die Gewalt zu verhindern.

Darüber hinaus erweist sich in Bezug auf Sorge- und Umgangsrechtsregelungen und somit auch hinsichtlich des Kindeswohls Artikel 31 (Sorgerecht, Besuchsrecht, Sicherheit) als hilfreich und unterstützend, da er dazu auffordert, gewalttätige Vorfälle bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht zu berücksichtigen.

© Annie Spratt auf Pixabay

Hintergrund

Die besondere Situation der Kinder und Jugendlichen im Kontext von häuslicher Gewalt und die Notwendigkeit von resilienzfördernden Zugängen der Sozialisationsinstanzen

Der Artikel 26 der Istanbul Konvention (Schutz und Unterstützung für Zeuginnen und Zeugen, die Kinder sind) erfordert die Bereitstellung von Schutz- und Hilfsdiensten für Opfer unter der Beachtung der Rechte und Bedürfnisse von Kindern.

Die Beobachtung von Partnerschaftsgewalt durch Kinder und Jugendliche stellt bereits eine Kindeswohlgefährdung dar, die es einzudämmen bzw. präventiv abzustellen sowie durch angemessene Interventionsmaßnahmen zu verhindern gilt. Sollen Kinder und Jugendliche in der Verarbeitung ihrer Gewalterfahrungen unterstützt werden, bedarf es interprofessioneller und interinstitutioneller Kooperationsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Akteuren in der Antigewaltarbeit (z. B. Frauenhäuser, Kitas, Schulen, Jugendhilfe).

Hierfür benötigen die Professionellen neben zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen Kenntnisse über hierarchische, gewaltbegünstigende Geschlechter- und Generationenverhältnisse, die Partnerschaftsgewalt und Kindeswohlgefährdung zu verursachen vermögen (vgl. Henschel in AWO 2022, S.32 ff).

Wenn die intergenerationelle Weitergabe von Gewalt verhindert werden soll, bedürfen Kinder und Jugendliche angemessener Unterstützung bei der Verarbeitung ihrer Gewalterfahrungen, wobei die Rechte und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu achten sind.

Im Sinne der Resilienzstärkung bedeutet dies, neben vertrauens- und respektvollen sowie wertschätzenden und verlässlichen Beziehungsangeboten auch Selbstwirksamkeitserfahrungen durch Partizipation zu ermöglichen. Zugleich darf jedoch das Konzept der Resilienzstärkung nicht dazu missbraucht werden, die Verantwortung für die Bewältigung von Gewalterfahrungen im Sinne unkritischer Anpassungsleistungen durch Kinder und Jugendliche erbringen zu lassen bzw. hierdurch Optimierungsstrategien hinsichtlich der Ausbildung von Stressresistenz das Wort zu reden.

Neben der individuellen Stärkung von Ressourcen muss es stattdessen auch darum gehen, gesellschaftlich zu verantwortende Geschlechter- und Generationenverhältnisse nachhaltig strukturell dahingehend zu verändern, dass die Gewalt beseitigt werden kann (siehe Henschel).

Buchtipp: Henschel, A. (2019): Frauenhauskinder und ihr Weg ins Leben: Das Frauenhaus als entwicklungsunterstützende Sozialisationsinstanz. Opladen: Barbara Budrich Verlag.

Prof. Dr. Angelika Henschel

Projekt

Kinder(leben)in Familien mit Partnerschaftsgewalt

Ein kompetenzorientiertes Curriculum für Fachkräfte in Kitas, Schulen und Frauenhäusern zur Resilienzunterstützung für von häuslicher Gewalt betroffene Kinder

Fortbildungsangebot

Multiplikator*innenschulung „Kinder und Jugendliche in Familien mit Partnerschaftsgewalt“ für Lehrkräfte und Fachkräfte der Sozialen Arbeit in Niedersachsen

Ein für drei Jahre konzipiertes Projekt des Instituts für Schule, Jugendhilfe und Familie e.V. in Kooperation mit Prof. Dr. Angelika Henschel (Leuphana Universität Lüneburg), gefördert vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung

Expertinnen aus dem Institut für Schule, Jugendhilfe und Familie

Das Projektteam

Projektleitung

Prof. Dr. Angelika Henschel

Projektleitung und aktive Umsetzung der Ausgestaltung und Durchführung aller Formate

  • Professorin für Sozialpädagogik, insbesondere Genderforschung, Jugendhilfe und Inklusion an der Leuphana Universität Lüneburg
  • 1977: Mitbegründerin des Vereins frauen helfen frauen e.V. in Lübeck
  • 1978: für 13 Jahre Mitarbeiterin im autonomen Frauenhaus Lübeck und fünfunddreißigjährige Vorstandstätigkeit im Verein
  • Forschung, Lehre und Praxisbegleitung zu den Themen Professionalisierung in der Frauenhausarbeit, Gewalt in Generationen- und Geschlechterverhältnissen, Kinder und Jugendliche im Kontext von Partnerschaftsgewalt
  • Gastprofessuren an diversen Universitäten in Australien (u.a. Western Syndney University)
Projektkoordinatorin

Birgit Schwarz

Projektkoordinatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin (50%)

  • Diplompädagogin und Politikwissenschaftlerin,
    Systemisches Business-Coaching und Moderatorin für Beteiligungsprozesse
  • Seminartätigkeit und Erwachsenenbildung insbesondere für Fachkräfte der Sozialen Arbeit, Qualitätsentwicklungsprozesse in Organisationen und Netzwerktätigkeit, Leitung Genderfachkreise der Jugendarbeit Südtirol
  • Themenschwerpunkte Partizipation und Soziale Ungleichheiten, insbesondere Gender und Diversity
  • Referentin zusammen mit Prof. Dr. Angelika Henschel in diversen Formaten zur „Situation von Kindern und Jugendlichen im Kontext von Partnerschaftsgewalt“ seit 2020
Institut für Schule, Jugendhilfe und Familie e.V. 
Prof. Dr. Angelika Henschel 
Leuphana Universität Lüneburg